Philosophisch unterwegs

Naturattraktion

Wo auch immer die Vielreisende vorbeikommt, stolpert sie über touristische Angebote, in denen verschiedenste Facetten der Natur, als Attraktion verkauft werden.

Sei es die Safari, im fernen Afrika. Eine Bootstour im Urwald des Amazonas. Glamping in den Rocky Mountains oder das beschwerliche und sündhaft teure Erklimmen des Mount Everest, der für die Heimischen nebenbei heilig ist. Fast in jeder Ecke der Welt werden Momente in der natur vermarktet, wie heiße Semmeln. Meistens wird dabei eine Stange Geld verlangt, um einem Raubtier zu begegnen, welches einst ein natürlicher Feind war. Auch für scheinbar banalere Dinge, wie Sternenbeobachtung in absoluter Dunkelheit, werden horende Summen gezahlt, oder für das Erleben von Stille und wie es sich anfühlt vom ersten Tageslicht geweckt zu werden, statt eines Handyalarms. Grenzerfahrungen, Höhenangst, Frieren, Schwitzen und körperliche Anstrengungen sind hunderte von Euros wert. „Zu Recht“, denkt man, der man diesen Erlebnissen durch deren Rarität den Stellenwert einer Attraktion beimisst.
Zudem sind es doch eben diese Erlebnisse, die uns erfahren lassen lebendig zu sein. Ist es also eine Attraktion, eine Rarität, etwas, was viel Geld kosten muss, das Leben zu spüren? Sich selbst?

Viele Menschen haben die Regeln des modernen Miteinanders so sehr verinnerlicht, dass sie die eigenen Wurzeln nicht mehr finden können, ehe sie nicht als Produkt mit Preisschild, in einem Schaufenster hängen. Wo auch sonst sollten wir suchen?
Wir wissen nicht, dass es all diese Wunder auch umsonst geben kann. Wir würden diese Wunder nicht mal erkennen, wenn wir nicht zuvor dafür gebucht hätten. Eine runzelige Hütte im Wald ohne Strom muss erst als AirBnB „Romantik-Cottage“ im Internet annonciert sein, bevor über Reichtum durch Verzicht nachgedacht werden kann. Beim Anblick solcher Annoncen ergreift mich stets ein inhärentes Unwohlsein. Es fühlt sich an, als würde ich Zeugin, wie eine mir sehr liebe Person, vor einer riesigen Menge bloßgestellt wird. Mutter Natur durch die Touristen entweiht. Wenn aber die eigene Mutter eine Attraktion samt Marktwert ist, was ist dann Heimat? Mein Job? Die Anzahl meiner Insta-Follower? Das Guthaben auf der Bank?

Eine Welt, in der ein „Office Day“ Attraktionscharakter hätte, ergäbe für mich mehr Sinn. In der Zugfahrten eine Sensation wären. Man könnte eine Guided Tour durch den Supermarkt buchen. Und Erinnerungsfotos von Klospülungen, würden an Stelle von Wasserfällen, die Fotoalben zieren. „Alltag“ wäre der Name eines skurrilen Vergnügungsparks, für den wir viel Eintritt zahlen und am Ende eines langen Tages froh sind, wieder nach Hause zu kommen.
In einer Welt, in der der „Ausflug ins Grüne“ von einer Heimkehr statt vom Wegfahren erzählt und das „Abenteuer Wildnis“ mein Garten sein könnte…in so einer Welt, würde ich vielleicht nie verreisen.

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